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Arrival

Chapter 2

Arrival

Ankunft, die
Substantiv, feminin
An|kunft
das Ankommen; jemandes Ankommen mitteilen, erwarten


Ihre behandschuhten Finger umgriffen die Mappe in ihren Händen fester, ihr Blick glitt über das Apartment vor ihr. Nur ein Stockwerk besaß es, die einst weiße Farbe blätterte bereits ab und enthüllte roten Backstein, offenbarte, wie wenig man sich in den letzten Jahren darum gekümmert hatte. Ein kleines Schild zierte den Zaun, die Abbildung eines Fuchskopfes daraus, daneben die Aufschrift „Vorsicht, bissiger Fuchs im Haus!“. Unsicher löste sie eine Hand von der Mappe, richtete ihren ihren Blick fest auf die Eingangstür und legte die nun freie Hand an den Knauf der Gartenpforte, schob diese knarrend auf. Kreuz und quer wachsendes Gras zierte den ehemals ordentlichen Rasen, Blumen ertranken in Unkraut und Büsche breiteten sich unkontrolliert in alle Richtungen aus. Der steinerne Pfad zu dem kleinen Haus war stellenweise schon ganz überwuchert. Ruhig verharrte sie vor der Haustür, suchte vergeblich nach einer Klingel, nur um dann fest anzuklopfen.

Eine ganze Minute verging, doch es kam keine Antwort, und so klopfte sie erneut an, diesmal fester und entschlossener. „Sunbae-nim? Sunbae-nim!“ Etwas Sorge wallte in der Lilahaarigen auf. Was, wenn dem Älteren etwas passiert war? In einer Verfassung, in der man ihn gut alleine lassen konnte, war der Schwarzhaarige ja nicht gerade. Sie wollte gerade die Hand heben, um erneut anzuklopfen, als sich die Tür plötzlich öffnete und ihr tote, graue Augen entgegen sahen. „Und ich wunder' mich schon, wer so früh nervt.“ brummte der Schwarzhaarige missmutig, die dunklen Strähnen hingen ungepflegt in sein Gesicht. Nur eine schwarze Jogginghose bekleidete den Körper des Älteren, der Bund ebenso schwarzer Boxershorts blitzte über dem Hosenbund auf. Kräftige Muskeln zierten die Arme des Mannes, ebenso wohldefiniert wie seine Bauchmuskeln. Ein Teil von Hideko hatte gedacht, er würde den ganzen Tag nur irgendwo sitzen und sich mit Alkohol zuschütten, doch damit hatte sie, in Anbetracht des deutlich trainierten Körpers, wohl falsch gelegen. Die junge Komissarin mochte zwar homosexuell und in einer glücklichen Beziehung sein, aber das änderte nichts daran, dass sie durchaus auf Muskeln achtete und für die kommende Ermittlung war der körperliche Zustand des Älterne nur positiv.

Definitiv missmutig wirkend wandte der Schwarzhaarige sich ab. „Komm rein.“ knurrte er förmlich. „Ich nehme, dass sind die Informationen zu unserem Hauptquartier für die Mission?“ Ein leichtes Nicken seitens der Lilahaarigen, während sie vorsichtig versuchte, über einige Pizzakartons hinweg zu steigen. Ihre schwarz-grauen Stiefel berührten den Boden nur zögerlich, sie war eine sehr reinliche Person und dementsprechend fühlte sie sich hier überhaupt nicht wohl. „Ja.“ antwortete sie schließlich verbal, als sie sich erinnerte, dass auch ein Gray Fullbuster seines Augen nicht am Hinterkopf hatte. „Die gewünschten Gefangenen treffen heute um 16 Uhr ein, wir haben also noch..“ Sie hob ihren Arm, schob den kurzen dunkelblauen Mantel leicht zur Seite und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Exakt drei Stunden, siebenundvierzig Minuten und drei Sekunden.“

„Mach's dir bequem und gib mir die Infos zum Gebäude. Geht schneller, wenn ich mich in der Zeit umziehe.“ Die Lilahaarige stimmte leise zu, sah aber davon ab, sich hin zu setzen. Ruhig schlug sie die Mappe auf und erhob die Stimme. „Wir werden uns in der St. Michaels Cathedral aufhalten und uns werden zwei Autos zur Verfügung stehen. Begleitet werden wir von der Beamten Amaryll Emerald. In die Kirche wurde bereits ein Raum für Verhöre integriert, sowie ein abgesicherter Raum mit mehreren Computern. Ansonsten verfügt sie nur noch über zwei einzelne Räume, die mit je drei Betten ausgestattet wurden. Die Aufteilung ist aber wohl uns überlassen.“ Die Akiyama klang ruhig, obwohl sie das komplette Gegenteil war. Bald würde sie den ganzen Tag mit drei Verbrechern und zwei leicht reizbaren und zu übermäßiger Gewalt neigenden Polizeibeamten verbringen müssen, nicht unbedingt die rosigste Aussicht. Eigentlich hatte sie das Wochenende mit ihrer Freundin inzwischen sogar Verlobten verbringen wollen, aber daraus wurde wohl nichts.

„Wir werden weder ein Bad, noch eine Küche haben. Und...“ Sie zögerte und biss sich auf die Lippe. Der Boden knarrte leise neben ihr, ein kühler Körper schob sich neben ihr und graue Augen glitten über das Papier in der Mappe. Ein raues Lachen entwich dem Schwarzhaarigen, seine Augen funkelten amüsiert. „Hades hat echt einen üblen Sinn für Humor.“ grinste Gray leicht, schulterte die schwarze Reisetasche. „Hast du alles? Dreieinhalb Stunden für nen' Großeinkauf könnten knapp werden.“ Hideko schloss die Mappe und schüttelte den Kopf. „Könnten ist nett ausgedrückt... Aber ja, ich habe alles. Was das Budget angeht...“

„Wir sollen nach eigenem Ermessen auf das offizielle Budget zugreifen, aber von Barbesuchen absehen, sofern wir nicht einen Missionsbezug nachweisen können?“ hakte der Ältere geradezu gelangweilt nach und sie sah irritiert hoch. „Ja, genau. Aber woher...“ Er brummte leicht. „Sagt Hades immer. Soll ich die Karte nehmen oder willst du?“ Die Lilahaarige schüttelte leicht den Kopf, öffnete die Mappe wieder und zog eine schlichte Kreditkarte mit einem darauf geklebten Zettel hervor. „Und die übliche Nummer... Die sollte wirklich mal geändert werden.“ murmelte der Ältere leicht, hatte seinen Blick über die Zahlenfolge 13-06-12 gleiten lassen. Fragend sah Hideko ihn an. „Steckt da eigentlich eine Bedeutung hinter?“ Die grauen Augen fixierten sich kurz auf sie, dann nickte der Schwarzhaarige und trat zum Eingang schlüpfte dort in schlichte, schwarze Schnürstiefel mit Reißverschluss an der Seite. „Klar. Ist das Debutdatum der Lieblingsband von Apollo und Aphrodite.“

Kurz blinzelte die Jüngere überrascht, folgte dem Schwarzhaarigen aber aus dem Haus, wartete brav, während dieser die Tür abschloss. „Das... hätte ich nicht erwartet.“ gab sie zu und Gray schnaubte leicht. „Hades ist in Sachen wie Passwörtern sehr vorhersehbar, dass lernt man irgendwann im Laufe der Zeit.“ meinte er trocken und ließ die Tür abgeschlossen zurück, wandte sich in Richtung des schwarzen Minivans, einem der beiden Autos, das ihnen für Ermittlungen zur Verfügung stehen würde. Ruhig beförderte er seine Tasche auf den Rücksitz, während Hideko – welche die Autoschlüssel hatte – auf den Fahrersitz kletterte. Ihr Blick wanderte wieder zu dem Gartentor mit dem Fuchsschild. „Was hat es eigentlich mit dem Schild auf sich? Ich hab keinen Fuchs gesehen.“

„Ist vor sieben Jahren gestorben, wir haben nur das Schild nie abgenommen.“



Seufzend musterte Hideko das vor ihr aufragende Modegeschäft. „Müssen wir das wirklich machen?“ hakte sie nach und der Schwarzhaarige schnaubte. „Wir können es auch lassen, wenn du unbedingt auffallen willst. Nur ein Set Kleidung haben und das jeden Tag waschen geht ja schlecht.“ Sichtlich unwillig verließ sie das Auto, schloss dieses ab, sobald sie Grays kühle Aura neben sich spürte. Im nächsten Moment wurden ihr ein paar Fotos hin gehalten. „Hier, du übernimmst Crossfield. Ihre Daten stehen auf der Rückseite des ersten Fotos.“ Die Lilahaarige verzog das Gesicht, nahm die Fotos aber an und blätterte kurz durch diese durch, bemerkte, dass es ein Close-Up von dem Gesicht der Weißhaarigen und mehrere Beispiele für ihren Kleidungsstil waren. „Wenn die Drei sich in ihrer Kleidung wohl fühlen, fallen sie weniger auf.“ antwortete der Schwarzhaarige auf ihre unausgesprochene Frage.

Unruhig trat Hideko von einem Bein auf das Andere. „Ich... also, ich weiß nicht, ob ich wirklich Alisha übernehmen soll. Also... ich bin homosexuell.“ gestand sie verlegen und der Ältere seufzte. „Und ich bin bi. Der Punkt hier ist auch nicht Sexualität, sondern Auffälligkeit. Sorry, aber die Zeit, in der ich blöde Blicke kassiert habe, weil meine beste Freundin mal wieder alles an BHs verloren hat, was sie besitzt, und ich für sie neue Unterwäsche gekauft habe, ist lange vorbei. Und du würdest dich vermutlich unter skeptischen Blicken ebenso wenig wohl fühlen. Glaub mir, die kriegst du, wenn du dich in der Abteilung für Herrenunterwäsche herum treibst.“ Seufzend gab die Jüngere nach. „Okay. Ich komme zu ihnen, wenn ich alles habe.“

Er nickte leicht, und die Lilahaarige betrat das Geschäft, warf nur einen letzten Blick zu Gray, als dieser sich der Herrenabteilung zuwandte. Alsbald war sie von Röcken und luftigen Tops eingeengt. Unsicher sah sie sich um, blinzelte immer wieder auf die Fotos in ihrer Hand hinab. „Kann ich ihnen helfen?“ Erschrocken quietschte die Lilahaarige ob der Stimme hinter ihr auf, wirbelte herum und erblickte eine junge Frau mit kühlen, grau-violetten Augen und grünen Strähnen in hellem, lilanen Haar. „Nein, danke.“ lehnte die Größere lächelnd ab, überragte sie die Verkäuferin vor ihr doch um ein paar Zentimeter. Dann fiel ihr Blick wieder auf die Fotos. „Obwohl...“ hielt sie die Kleinere vom gehen ab. „Vielleicht doch. Wissen Sie, meine Cousine und ich haben uns jetzt lange nicht gesehen und weil wir das Wiedersehen etwas besonderer machen wollten, haben wir uns eine kleine Challenge ausgedacht. Jede von uns muss für die jeweils andere fünf passende Outfits finden, die ihrem Stil entsprechen. Ich hab jetzt aber bis auf die Fotos hier keinen Anhaltspunkt, was ich für sie holen soll...“

Die Verkäuferin kam wieder näher, grüne High Heels über einer schwarzen Strumpfhose klackerten heran und verharrten neben ihr, musterten die Beispielfotos ruhig. „Ich sehe schon... Da sollte sich was machen lassen.“ meinte die junge Frau nickend, wandte sich zielstrebig den Regalen zu. „Welche Größe?“ Hideko blinzelte kurz, dann drehte sie das Porträt herum. „Oberteile und Röcke S.“ gab sie dann Antwort und die Verkäuferin nickte erneut. „Wie kamen sie auf diese Challenge?“ hakte sie nach und die Akiyama biss sich unbemerkt von der jungen Frau auf die Lippe. „Ähm...
also, das ist etwas peinlich...“ nuschelte sie. „Ich kann schweigen.“

„Nun ja, ich hab es mir bei einem Arbeitskollegen abgeschaut.“ gestand Hideko schließlich leise, entschuldigte sich in Gedanken bei Gray. „Seine Freunde kommen manchmal auf interessante Ideen, wenn Alkohol dabei ist, und das letzte Mal kam so was dabei raus.“ Aufmerksam beobachtete die Akiyama, wie die Verkäuferin zielstrebig Kleidungsstücke heraus griff und innerhalb weniger Minuten einfache, aber dennoch hübsch aussehende Outfits zusammen stellte, nach einer Angabe der Schuhgröße sogar zwei passende Paar Schuhe holte. „Sonst noch etwas?“ hakte die Lila-Grünhaarige ruhig nach und die Größere nickte leicht, aber scheu. „Nun ja... Unterwäsche.“ nuschelte sie verlegen und zog ein Bild hervor, dass bisher gut verborgen gewesen war. Unter mädchenhafter Kleidung verbarg Alisha nämlich aufreizende Unterwäsche und einen doch sehr reifen Körper. Nicht einmal fünf Minuten später lagen mehrere Sets Unterwäsche und auch Socken bei. Dankbar verneigte Hideko sich leicht. „Vielen Dank.“ meinte sie ehrlich. „Ohne Sie stände ich jetzt noch mit leeren Händen hier.“

Die Kleinere winkte ab. „Ist mein Job.“ meinte sie, während Hideko vorsichtig die Kleidung zusammen sammelte und sich erst in Richtung der Herrenabteilung wenden wollte, dann jedoch Gray an der Kasse erspähte. Die hilfsbereite Verkäuferin wandte sich in die gleiche Richtung, begab sich in dem Moment, in dem Hideko Gray erreichte, hinter die Kasse. „Zusammen?“ hakte sie fragend nach und Gray brummte zustimmend. „Yeah, schulde ihr noch was.“ stieg er ganz natürlich in das Lügengestrüpp ein, welches Hideko so sorgfältig gesponnen hatte. Alsbald standen beide wieder vor dem Laden, näherten sich dem Wagen. „Wir brauchen jetzt nur noch Hygieneprodukte und Dufterfrischer.“ Verwirrt sah die Lilahaarige ob der letzten Gegenstandgruppe zu Gray. „Dufterfrischer?“

Der Ältere schnaubte. „Yeah, Dufterfrischer. Das wird mindestens ne Woche dauern und wir haben Sommer, aber keine integrierte Dusche. Übersetzt, mindestens eine Fahrt pro Tag zu einer öffentlichen Dusche. Wenn du mit fünf verschwitzten Personen in einem Minivan eingepfercht werden willst, gerne, ich halte dich nicht auf.“ Die Jüngere schüttelte sich. „Nein, schon gut, sie haben recht.“ meinte sie angewiedert.



Goldene Augen musterten ihre Umgebung neugierig, registrierten die vorbeiziehenden Häuser. Irritierenderweise war sie ganz alleine in dem großen Bus, eine eiserne Tür trennte sie von der Fahrerkabine. „Wohin fahren wir?“ fragte sie freundlich, die großen, aufmerksamen Augen richteten sich unschuldig auf den Beamten, welcher just in diesem Moment in den Gefangenenteil des Busses trat. Ein flaches Plastikpäckchen traf sie an der Brust, gefolgt von einem Schuhkarton. „Anziehen.“ kam der knappe Befehl und sie musterte das Päckchen irritiert. Mit etwas Anstrengung öffnete sie das Plastik, fand normale Kleidung vor. „Normale Kleidung? Wieso?“ fragte sie verwirrt nach, die Handschellen an ihren Handgelenken klimperten leicht.

„Du wirst entlassen.“ antwortete der Beamte und warf ihr einen von Abscheu geprägten Blick zu. Nein, er hielt wirklich nichts von Verbrechern, in seinen Augen waren sie nicht besser als der Dreck unter seinen Schuhen. „Inwiefern entlassen? Ich bin kein Soldat.“ warf die junge Frau verwirrt ein. Genervt schnalzte der Beamte mit der Zunge und zückte die Schlüssel zu den Handschellen. „Jetzt halt die Klappe und zieh dich um, Miststück.“ knurrte er ihr zu, und der Schlüssel klickte im Schloss. In einer fließenden Bewegung legte sich Alishas nun freie Hand in den Nacken des Beamten, zog diesen herab und genoss das leise Knacken, als dessen Nase mit der Rückenlehne des Sitzes vor ihr kollidierte.

Nahezu sanft strich ihr Daumen über die weiche Haut. „Ich habe nur ganz lieb gefragt, es gab für dich weder einen Grund, sauer zu werden, noch einen, mich zu beleidigen.“ Ihre Stimme war süß wie Honig, jagte dem Mann kalte Schauer über den Rücken. Er hatte sich zu sicher gefühlt, hatte sie doch noch nie Probleme gemacht, vergessen, wen er da eigentlich transportierte. Dann verschwand die Hand in seinem Nacken. „Ich hoffe, du bist nicht immer so unfreundlich.“ meinte sie lächelnd, während sie seelenruhig ihre Handschellen aufschloss und diese gemeinsam mit dem Schlüssel in seine Hand fallen ließ. „Apropos Freundlichkeit, würdest du dich bitte umdrehen? Ich würde mich gerne in Ruhe umziehen, wenn ich das darf.“

Die Eisentür schloss sich etwas fester als nötig hinter dem verletzten Beamten und die Weißhaarige konnte nicht anders als leicht zu grinsen. Sie mochte es nicht besonders, wenn Leute grundlos unfreundlich waren, aber wenn sie es doch waren, dann liebte sie es förmlich, ihnen Manieren beizubringen. Nur, weil jemand nett schien, hieß das nicht, dass man mit dieser Person machen durfte, was man wollte.



Langes rotes Haar hing halb über der Lehne seines Sitzes, ruhte in seinem Schoß, damit es nicht den Boden berührte. Die ebenso roten Augen waren geschlossen, sein Atem ging ruhig. Unsicher sah der verantwortliche Beamte zu seiner Kameradin. „Muss ich ihn wirklich wecken?“ wisperte er leise, Angst flackerte in seinem Blick. Er war ein Wärter aus dem aktuellen Gefängnis des Rotschopfs, wusste nur zu gut, wie viel Ärger der Gangster bedeutete. Noch immer schmerzte sein Körper von letzter Woche.

Nur Tage nach seiner Ankunft im Seodaemun Gefängnis vor zwei Jahren hatte der charismatische Mann die Führung über die Insassen übernommen und sich auch um diese gekümmert. Eigentlich hatten die Wärter irgendwann begriffen, dass wahlloses Zusammenschlagen von Insassen danach nicht mehr besonders intelligent war, aber ein neuer Wärter hatte dies dennoch getan. Ryuichi waren diese Verletzungen natürlich aufgefallen, war es doch ausgerechnet einer aus seinem engeren Kreis gewesen, und das Übel hatte seinen Lauf genommen.

„Wer war das?“ Die Stimme des Rotschopfs war ruhig, geradezu desinteressiert, doch der stechende Blick aus roten Augen grub sich in die Seele des leicht zitternden Mannes vor ihm. Unsicher schluckte dieser, sah dann aber zu einem der neuen Wärter, eine subtile Geste, aber mehr als ausreichend. Der Fudo verstand, reagierte aber nicht sofort, widmete sich kurz seinem Essen, doch sein Blick flackerte immer wieder zu dem neuen Wärter, so intensiv, dass er diesem förmlich löcher in die Uniform brannte, doch jedes Mal, wenn sich dieser suchend umsah, hatte der Rotschopf bereits wieder weg gesehen und aß ganz brav.

Ein letztes Mal flackerte der Blick zu dem Wärter, und im nächsten Moment knallte es laut. Ryuichis Stuhl schlitterte über den Boden, kippte krachend um und erweckte die Aufmerksamkeit der Wärter. „Hey, gib Ruhe!“ fauchte der Neue erbost, griff nach dem Schlagstock an seinem Gürtel und stapfte in die Richtung des Rotschopfs. Doch anstatt wie erwartet in Kontakt mit dem Gangster zu kommen, fuhr der Stock ins Leere. Eine schwielige, von viel harter Arbeit und langen Kämpfen sprechende Hand legte sich in den Nacken des Wärters, zog ihn nach unten und im nächsten Moment rammte sich ein Knie in seine Magengrube. Ein trockenes Keuchen entwich dem Mann, der nächste Treffer sandte sein Frühstück wieder seine Speiseröhre hoch.

Der Fudo wich zurück, bevor er von den halb verdauten Essen getroffen wurde, nur um dem nächsten Wärter seine Faust ins Gesicht zu rammen, ihn mit zwei weiteren Schlägen und einem kraftvollen Tritt fliegen zu schicken. Der erste Pfiff erklangen, weitere Wärter strömten in den Speisesaal, doch der Rotschopf kämpfte lange nicht mehr alleine. Immer wieder erklangen laute, zustimmende Pfiffe und von Sieg singende Jubelrufe. Es war ein komplettes Chaos.

„Bist du ein Kerl oder eine Pussy?“ hakte die Fahrerin genervt nach. „Jetzt weck ihn auf, damit wir ihn raus schmeißen können, das war meine letzte Fahrt und ich will nach Hause.“ Schwer schluckend sah der Mann auf den Fudo hinab, stupste diesen ganz vorsichtig an der Schulter an. Ein ungläubiges Schnauben von vorne ließ ihn herum wirbeln. „Was?!“ zischte er genervt, seine Augen blitzten förmlich, doch er wusste nur zu gut, dass diese Wut aus seiner Furcht vor dem Rothaarigen neben ihm resultierte. „Du sollst ihn aufwecken, nicht streicheln.“ bemerkte seine Kollegin. „Dann mach du das do-“ Abrupt verstummte der Beamte, krümmte sich zusammen und fasste sich vorsichtig an den Rücken. „Ihr seid zu laut.“ befand der Fudo beunruhigend ruhig, während er sich ganz gelassen erhob und an dem Beamten vorbei trat, den Bus ohne einen weiteren Blick zurück verließ.

Eine verlassene Gegend erwartete ihn. Um ihn herum war weit und breit nur Natur, nur durchbrochen von einer hoch aufragenden Kirche, einem breiten, sandigen Feldweg und zwei schwarzen Minivans. Ein Wald ringte die Kirche ein, deren Wände aussahen, als würde der geringste Kontakt sie zum Einstürzen bringen. In Ryuichis Rücken befand sich ein weites, freies Feld. „Irgendwo im Nirgendwo.“ murmelte er zu sich selbst, doch seine Augen fixierten sich auf den heran rollenden Gefängnisbus. Die Tür öffnete sich zur anderen Seite als Ryuichis es getan hatte, und erst, als der Bus davon rollte, konnte er ein junges Mädchen erspähen, gekleidet in einen leichten rosanen Rock, eine langärmlige Bluse in dem gleichen Ton und mädchenhaft wirkende Highheels in – wie sollte es auch anders sein – rosa mit grünen Blumenverzierungen. Ein rosanes Band mit zwei Schleifen zierte ihre weißen Haare.

Das Mädchen sah sich neugierig um und lächelte leicht, als sie Ryuichi erspähte, während sich der Rotschopf einen Fluch verkniff, sobald er ihr Gesicht erkannt hatte. „Ryuichi-san!“ flötete sie und hüpfte leicht auf ihn zu, kam vor ihm zum stehen. „Haben sie das hier veranlasst?“ Der Blick des Größeren richtete sich kühl
auf sie. „Nein.“ meinte er knapp. Alisha blinzelte etwas verwirrt und legte den Kopf schief. „Wer würde zwei inhaftierte Verbrecher an so einen Ort kommen lassen?“

„Wir.“ Die fremde Stimme kam von der Tür der Kirche. Auf der leicht nach oben führenden Treppe stand eine junge Frau mit langem, lilanen Haar und aufmerksamen Augen im gleichen Farbton. „Und wer sind wir, Agasshi?“ hakte der Fudo ruhig nach, verwendete das koreanische Äquivalent zu Fräulein. Hideko spitzte leicht die Lippen. „Zum einen bin ich vieles, aber ganz sicher kein Fräulein, Mr Fudo. Kommen sie rein, wir erklären ihnen alles.“ Alisha schmunzelte leicht. „Das wird noch interessant.“ wisperte sie mehr zu sich selbst als alles andere, dann wandte sie sich von Ryuichi ab und hüpfte Hideko hinterher in die Kirche, während der Gangster wesentlich gemächlicher folgte.

Das Innere wirkte – bis auf ein paar abzweigende Türen – nicht viel stabiler als das Äußere und Ryuichi musste gegen den Instinkt ankämpfen, sich eine Hand über den Kopf zu halten, bevor er noch von einem herab fallenden Stein am Kopf getroffen wurde. Er war kein großer Freund von so instabilen Häusern, noch nie gewesen, für Missionen in Plätzen wie diesem war immer Jiro zuständig gewesen. Wie oft der Andere Rotschopf ihn deswegen aufgezogen hatte, konnte der Fudo gar nicht mehr zählen, aber es war mehr als oft genug gewesen.

Auf einer der überraschend intakt wirkenden Kirchenbänke saß ein nur zu vertrauter Schwarzhaariger, die Beine hoch gelegt und eine Flasche Whiskey neben ihm. Ein bissiger Kommentar lag dem Rotschopf bereits auf der Zunge, als Gray seine Augen öffnete. Das vor zwei Jahren so aufmerksame und stürmische Grau war nun kalt und leer, wie die Augen eines toten Fischs. Es jagte ihm Schauer über den Rücken, denn auch wenn er den Anderen nicht besonders mochte, seit dieser ihn ins Gefängnis gebracht hatte, hatte Ryuichi doch auch immer Respekt vor dem intelligenten Mann empfunden.  Der bissige Kommentar erstarb, bevor er überhaupt den Mund öffnen konnte.

„Setzt euch.“ verlangte die Lilahaarige nun, verharrte neben einer mit Bildern versehenen Pinnwand auf dem Podium der Kirche. Etwas zögernd folgte der Rotschopf der Bitte, ließ sich vorne in der ersten Reihe nieder und erfasste die Beschriftungen der Bilder. „Hier sehen Sie alles, was wir zu einem aktuell stattfindenden Serienmord im nördlichen Seoul wissen. Sie werden uns helfen diesen zu lösen.“ Alisha blinzelte neben Ryuichi lecht überrascht. „Warum sollten wir das tun?“ sprach sie die Gedanken des Rotschopfs aus, doch statt Hideko erklang Grays Stimme hinter ihnen. „Wer auch immer von euch den Täter fängt, bekommt fünf Jahre seiner Haftstrafe abgezogen. Aber nur derjenige, der den Täter wirklich gefasst hat.“

Der Blick des Fudos glitt zu dem so leblos wirkenden Schwarzhaarigen. „Natürlich. Das klingt sehr nach einer von ihren Ideen.“ befand der Gangster ruhig und Gray lehnte sich wieder zurück, antwortete nicht. Nur ab und an sah der Schwarzhaarige auf seine Uhr. Hideko räusperte sich laut und holte sich die Aufmerksamkeit zurück. „Ich bin Kommissarin Hideko Akiyama und werde gemeinsam mit den Beamten Gray Fullbuster und Amaryll Emerald für sie verantwortlich sein. Wenn Sie die Zusammenarbeit ablehnen, werden sie sofort in ihre jeweiligen Gefängnisse zurück gebracht. Wenn Sie sich aber für die Zusammenarbeit mit uns entscheiden, werden sie die hier anlegen müssen.“

Die Lilahaarige nickte nach hinten und eine rothaarige Gestalt löste sich aus dem Schatten, aufmerksame grüne Augen glitten nur einmal kurz zu Gray. In schwarz behandschuhten Händen ruhte ein großer Koffer, den die Rothaarige nun anhob und vor ihrer Brust öffnete, der Deckel verbarg einen großen Teil ihres Körpers und ihrer enganliegenden Lederjacke. Ryuichi erhob sich, warf einen Blick in den Koffer und sah zu den beiden Frauen auf. „Das ist entwürdigend.“ befand er ruhig und Alisha sprang auf, wollte wissen, was den Älteren so erzürnte. Ihr Magen drehte sich beim Anblick der beiden Fußfesseln und dem Band für ihren Oberschenkel um. „Sie... sie meinen das ernst?“ wisperte sie leise.

„Es tut uns leid, aber es gibt keine andere Möglichkeit.“ In der Stimme der Rothaarigen schwang ehrliches Bedauern mit. „Allerdings haben wir gerade deswehen für Sie ein Band für den Oberschenkel anfertigen lassen, Alisha. Die Bänder müssen nicht sichtbar sein, aber wir müssen sie orten können.“ Der Fudo knurrte verärgert ob der Erklärung. „Da würde ich mich noch lieber eher wie ein Hund chippen lassen anstatt mich als Vergewaltiger deklarieren zu lassen!“ fuhr er auf und Hideko seufzte. „Wenn es Sie so sehr stört, können sie gerne gehen.“

Ihr Blick glitt zu Gray, ihre Augen erfassten den erneuten Blick auf seine Uhr. „Worauf warten sie eigentlich, Sunbae-nim?“ adressierte sie ihn und die Diskussion war vergessen, als sowohl Ryuichi als auch Alisha sich zu dem Schwarzhaarigen umdrehten. Ein leichtes, wissendes Lächeln umspielte Grays Lippen, erreichte aber seine Augen nicht. „Auf den Anruf, dass Kurokawa abgehauen ist.“

Die Lilahaarige erstarrte. „Bitte was?“ hakte sie nach, hoffte, die Worte des Anderen falsch verstanden zu haben. Gray seufzte leise. „Weder Fudo, noch Crossfield haben einen wirklichen Grund abzuhauen. Kurokawa hatte von Anfang an einen, es war klar, dass er das tun würde. Also habe ich ihm einen weiteren gegeben, damit ich weiß, wo genau er hin ist.“ Ein kalter Schauer lief Ryuichis Rücken herab. Das war der Schwarzhaarige, wie er ihn kannte, intelligent und berechnend. Viele hatten den Fehler begangen, zu denken, sie hätten die Überhand über den Fullbuster, und teuer dafür bezahlt, auch Ryuichi, genau dieser Fehler hatte ihn ins Gefängnis befördert.

Die ohrenbetäubende Stille wurde von einem lauten Klingeln unterbrochen und Hideko zog ihr Handy mit zitternden Fingern aus ihrer Hosentasche. „Ja?“ nahm sie den Anruf an, ihr Körper sichtlich angespannt. „Kurokawa ist verschwunden, seine Wächter sind verletzt.“

Am Rand Seouls stieg gerade in diesem Moment ein hoch gewachsener junger Mann mit dunkelblauem Haar in die U-Bahn.


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